XAVIER BOYD

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ERMITAGE [drafts]

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Sentenced to 42 days of quarantine, Xavier de Maistre in 1790 begins his Voyage autour de ma chambre. He uses the limitations imposed on his physical freedom of movement and the time thus gained for contemplative expeditions into the vast interiors of his soul, while not far from his comfortable enclosure the revolutionaries are working to abolish that very interiority. From his exile in Savoy, again in privileged surroundings, de Maistre publishes his travelogue in 1794, establishing the genre of "armchair literature."

Three versions of this genre—de Maistre’s Voyage, Guillaume Dustan’s erotic autofiction Dans ma chambre (1996), and Ernst Jünger’s essay Der Waldgang (1951)—are explored by three performers within an installation.

Zu 42-tägiger Quarantäne verurteilt, beginnt Xavier de Maistre 1790 mit seiner Voyage autour de ma chambre. Die Begrenzung seiner physischen Bewegungsfreiheit und die damit gewonnenen zeitlichen Ressourcen nutzt er für kontemplative Expeditionen in die Weiten seiner Seele, während unweit seines behaglichen Interieurs die französischen Revolutionäre an der Abschaffung jeder privaten Innerlichkeit arbeiten. Zurückgezogen in Savoyen, wiederum in privilegierter Umgebung, publiziert er 1794 seine voyages, die das Genre der ‘Zimmerreiseliteratur’ begründen.

Der Erfolg des Genres und seiner Varianten dürfte nicht zuletzt in der therapeutischen Funktion bestehen, die Unvollkommenheiten der Welt durch simulierte Erfahrungsfülle literarisch zu kompensieren. Eine Beteiligung an dem Projekt einer materiellen Transformation der Welt würde die schmerzhafte Preisgabe und Relativierung der Fiktion absoluter Autonomie erfordern. Demgegenüber konnte das bürgerliche Subjekt mittels der sentimentalen Erkundung der eigenen vier Wände sich jener wenigstens im Privaten vergewissern. Literarische Experimente mit den Kleinoden der Nahwelt versprechen eine luxurierende Begegnung mit den radikalen Möglichkeiten menschlicher Freiheit, ohne mit der risikoreichen Drastik und dem Gewaltpotential, das ihre Verwirklichung jenseits der privaten Umgebung begleitet, umgehen zu müssen.

ERMITAGE bearbeitet in einer szenischen Installation drei Varianten dieses Genres als Experimentierfeld eines ‘Sozialismus der Distanzen’. Dabei wird die temporäre Gemeinschaft dreier Text-Körper erkundet, die radikal verschiedene Wege wählen, um sich der Phantasie individueller Souveränität zimmerreisend zu vergewissern. Den Texten – de Maistres Voyage, Guillaume Dustans erotische Autofiktion Dans ma chambre (1996) und Ernst Jüngers Essay Der Waldgang (1951) – ist das performative Paradox gemeinsam, ihrem antimodernen Impuls öffentlich, für ein (lesendes) Publikum nachzugehen. Indem ihre Beziehungsweisen nicht durch den Wunsch nach Identität, sondern durch den nach Differenz charakterisiert sind, können sie als Modell einer vielstimmigen politischen Praxis fruchtbar gemacht werden. Dabei wäre Vereinzelung nicht etwas Gegebenes, sondern paradoxes Begehren und fragile Möglichkeit einer dynamischen Gemeinschaft Vieler.

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Credits

PerformersJoscha Baltha, Antoine Caxape, Elena Wolff and Nick Romeo Reimann

DirectionLennart Boyd Schürmann

DramaturgyMoritz Nebenführ

Original CompositionChristian Naujoks

MaskLilo Lucia Meyer

Stage ElementsAchinoam Alon

Produced byLothringer 13 Halle, OFS / Münchner Kammerspiele

PhotosNicole Marianna Wytyczak